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Die größte Kraft am Finanzmarkt sind nicht Krisen, sondern Zinsen!

Von Mirko Kohlbrecher, Investmentstratege bei der Spiekermann & CO AG in Osnabrück

 

Viele Anleger zucken angesichts der vielen Krisen weltweit zusammen. Doch die Börsengeschichte wie auch die Logik der Finanzmärkte zeigen: Nicht Krisen entscheiden langfristig über das Auf und Ab der Börse, sondern die Zinsen. Und in dieser Hinsicht ist die Lage besser als die Stimmung.

 

Seit einigen Jahren überschlagen sich die Krisen. Erst hatten wir die Corona-Pandemie, 2022 folgte Krieg in der Ukraine, nun erlebten wir die schrecklichen Massaker an Israelis und aktuell den Waffengang im Gaza-Streifen. Im Hintergrund sorgt die Rivalität zwischen den USA und China für reichlich Unbehagen. Schon ist die Rede von der Polykrise, einer Mischung und Verstärkung mehrerer Krisen zu einer großen Krisenwelle. Es ist die optimale Zeit für Schwarzmaler.

 

Bedeutung von Krisen wird immer wieder überschätzt

Viele Anleger sind deshalb verunsichert: Was könnte diese Gemengelage für ihr Vermögen bedeuten? Kann das Anlagejahr 2024 unter der Last des Ukraine-Kriegs und eines möglichen Flächenbrands in Nahost überhaupt positiv ausfallen? Um solche und ähnliche Fragen richtig zu beantworten, hilft die Konzentration aufs Wesentliche. Denn: Nicht „der Krisenmotor“ treibt den Finanzmarkt langfristig nach oben oder unten, sondern die Entwicklung der Zinsen. Und da sieht die Lage derzeit besser aus, als man angesichts der Krisenstimmung glauben würde.

 

Aktien: Zinsen sind entweder Konkurrent oder Treibstoff

Warum sind die Zinsen für Aktien so wichtig? Zum einen machen höhere Zinsen Anleihen im Vergleich attraktiver. Zum anderen verteuern sie die Finanzierung von Unternehmen, die dazu auf diese Schuldpapiere oder Bankkredite angewiesen sind. Daher kamen im vergangenen Jahr insbesondere die Aktien von Firmen mit dünnem Cash-Polster oder hohem Geldbedarf unter Druck. Aber auch die großen Player wie Apple oder Microsoft haben den Zins-Gegenwind gespürt. Der stärkste Zinsanstieg seit Jahren führte in den marktbreiten Indizes zu Verlusten von bis zu 25 Prozent – keine ausgewachsene Baisse, aber ein satter Dämpfer!

 

Anleihen: Am Gängelband der Zinsentwicklung

Zinspapiere sind ein zweischneidiges Schwert. Dies wissen nun auch alle, die in den letzten Monaten langlaufende Staatsanleihen im Depot hatten. Anleihen mit über 20 Jahren Laufzeit verloren von ihrem Allzeit-Hoch 2020 bis jetzt rund die Hälfte an Wert – im Gegensatz zu den Aktien ein ausgewachsener Crash! Das größte Minus gab es im Jahr 2022, als die langfristigen Zinsen im Zuge der Leitzins-Erhöhungen der Notenbanken am stärksten nach oben kletterten.

 

Aktien und Anleihen: Jetzt wieder interessant!

Nun stellt sich die Frage: Ist das aktuelle Zinsniveau attraktiv genug, um bei Zinspapieren zuzugreifen? Wir meinen: Ja, insbesondere bei mittleren Laufzeiten zwischen drei und fünf Jahren, gegebenenfalls auch etwas länger. Zum einen sind dort die Zinsen im Vergleich zu kürzeren und längeren Laufzeiten am höchsten. Zum anderen dürfte der Zyklus der Zinserhöhungen so gut wie abgeschlossen sein. Das bedeutet: Noch höhere Zinsen bei Anleihen und damit temporäre Kursverluste sind unwahrscheinlich. Auch bei Aktien dürften sich Investments lohnen. Denn Dividendentitel profitieren, wenn die Zinsen tendenziell sinken und sich die Finanzierung der Unternehmen vergünstigt – siehe oben.

 

Fazit: Wir gehen davon aus, dass sich die Situation an den Finanzmärkten den zahlreichen Krisen zum Trotz merklich aufhellen sollte. Dafür werden nicht zuletzt die hohen Schuldenberge sorgen, auf denen die westliche Welt insbesondere seit Corona sitzt. Um sie abzutragen oder zumindest nicht weiter anwachsen zu lassen, werden die Notenbanken nicht umhinkommen, die Zinsen in den nächsten Jahren zu senken. Die Ironie der Geschichte: Die Argumente dafür dürften nicht zuletzt die Krisen liefern.

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